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Von Betonflächen, Geleisen und internen Zufahrtsstrassen zerschnitten:
das nt-Areal, ein aufkeimendes Niemandsland, eine Pufferzone im
Würgegriff der Autobahnen. Foto Koma
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Man würde kaum vermuten, wie viel disparate Begehrlichkeit sich
auf dieses öde Stück Land richtet. Grau, von Betonflächen und
internen Zufahrtsstrassen zerschnitten, überlagert vom rangierenden
Schwerverkehr, erstreckt es sich unter dem grauen Winterhimmel,
gesäumt von Nord- und Osttangente, der Schwarzwaldallee im Westen
und dem Rosentalquartier im Süden. Es ist ein Niemandsland hier
hinten, eine Pufferzone im Würgegriff der Autobahnen.
Und trotz allem ringen seit Jahren unterschiedlichste Parteien
um das Areal des DB-Güterbahnhofs, als handle es sich um ein urbanes
Dorado. Tatsächlich birgt das 18 Hektaren grosse Gelände ebenso
unscheinbare wie nachhaltige Schätze; städtebaulich ist es eines
der letzten grösseren Entwicklungsgebiete, weshalb der Kanton
Basel-Stadt auf dem Areal dereinst ein neues Wohn- und Arbeitsquartier
aus dem Boden stampfen möchte.
Die Quartierverantwortlichen der angrenzenden Quartiere sehen
im Areal eine Chance, die strukturellen Defizite des unteren Kleinbasels
auszugleichen, als da wären: fehlende Grünflächen und Erholungszonen,
fehlender Zugang zum Naherholungsgebiet Lange Erlen. Der Bund
für Naturschutz interessiert sich für die auf dem Areal erhaltene
Natursubstanz: Zwischen den Schotterflächen der Bahngeleise spriesst
eine seltene und wertvolle Vegetation, die zu schützen ist, auch
vor den Baggern, die dereinst hier das Quartier ausheben werden.
Blockierte Energien
Und dann sind da noch die Kulturschaffenden. Auf der Suche nach
brachliegenden Räumen und der Möglichkeit, Visionen von einer
urbanen Stadtkultur zu verwirklichen, stiessen zwei Stadtplaner,
Philippe Cabane und Matthias Bürgin Mitte der neunziger Jahre
unabhängig voneinander auf das DB-Areal und erkannten, dass viel
Wasser noch den Rhein hinabzufliessen hätte, bis das Areal zur
Baureife gediehen sein würde. Wäre es nicht reizvoll, einem Unort,
der zum Stadtteil heranreifen sollte, ein Gesicht zu geben? Flugs
steckte man Zwischenzeit und Zwischenraum ab und begann, den Ort
zu umwerben.
Nun könnte man arglos schliessen, dass sich diese unterschiedlichen
Interessen ganz hübsch entgegenkommen - allein ein Faktor blieb
bis hierher unerwähnt, der Haken an der Geschichte: Die Eigentümerin
des Areals, die DB AG verwarf Mitte der 1990er Jahre den ursprünglichen
Plan, das Areal an den Kanton Basel-Stadt zu veräussern. Seither
stecken beide Parteien in zähen Verhandlungen über einen städtebaulichen
Rahmenvertrag, der die spätere Nutzung regeln soll. Die Lage ist
kompliziert: Nicht nur können die beiden Verhandlungspartner des
Kantons, die zwei privat organisierten DB-Tochtergesellschaften
Deutsche Bahn Immobiliengesellschaft (DBImm) und die EisenbahnImmobilien-Managementgesellschaft
(EIM) sich intern nicht auf einen Standpunkt einigen, auch findet
man keine Lösung in der Frage, wie gross der zu überbauende Teil
des Areals sein soll.
Da rücken Lebensqualität und Kultur schnell mal in den Hintergrund.
Der Durchbruch in den Verhandlungen wird zwar unermüdlich angekündigt,
wie zuletzt in der Regierungsbilanz 2000, oder im Januar 2001
mündlich gegenüber der BaZ. Allerdings sind auf die Worte bisher
noch keine Taten gefolgt.
Wirksame Akupunktur
Ein parlamentarischer Vorstoss im Basler Grossen Rat, der die
Verramschung des Areals befürchtete und ein Konzept für die unkoordiniert
bewilligten «Verlegenheitsnutzungen», wurde abgeschmettert. Man
verwies auf den zweiten planerisch-städtebaulichen Ideenwettbewerb,
der «auch allfällige Bewilligungen von Provisorien oder Zwischennutzungen
auf ihre längerfristigen Auswirkungen hin beurteilen» lassen solle.
Das war 1996; der auf 1999 geplante Wettbewerb ist bisher noch
nicht mal ausgeschrieben worden. Die Situation auf dem Areal käme
einem absoluten Stillstand gleich, hätten sich nicht ein paar
Kulturschaffende zäh ihrer Vision entlang getastet und gezeigt,
dass ein anderes, flexibleres Vorgehen durchaus auch möglich ist.
Blockierte Energien können, so weiss die chinesische Medizin,
seriöse Beschwerden nach sich ziehen. In diesem Bewusstsein traten
Philippe Cabane und Matthias Bürgin in Aktion. Im Juni 1999 veröffentlichten
sie ihre vom Verein «b.e.i.r.a.t.» unterstützte Studie «Akupunktur
für Basel», in der sie Konzepte für allfällige Zwischennutzungen
auf dem brachliegenden Areal entwickeln und aufzeigen, inwiefern
diese «informelle Planung», wie sie es nennen, auch der späteren
formellen Planung eines neuen Stadtquartiers von Nutzen sein könnte:
Das Areal sei durch ungünstige Standortqualitäten, namentlich
die Autobahn belastet, eine städtische Identität als Entwicklungsfaktor
fehle bislang, alles Missstände, denen es entgegenzuwirken gelte,
solle dereinst dort ein Stück lebendige Stadt entstehen, so ihre
Argumentation.
Flexible Zwischennutzungen zu initiieren und zu koordinieren,
einen Keim zu legen, war die Idee, die allen nur zum Vorteil gereichen
könne: Das noch unbekannte Stadtgebiet rücke in den Wahrnehmungshorizont
der Bevölkerung, werde so urbanisiert und aufgewertet, die positive
Standortentwicklung diene wiederum zur besseren Vermarktung des
DB-Güterareals - eine klassische Win-Win-Situation. Den Ängsten
vor einem wilden Besetzungsszenario begegneten die Initianten,
indem sie ein partnerschaftliches Verhältnis mit Stadt, Eigentümer
und interessierten Kreisen des Quartiers anstrebten. Die Studie
verhallte nicht ungehört: Die Quartierkoordination unteres Kleinbasel,
aber auch die Medien und der Verband der Natürschützer spitzten
die Ohren.
Positive Bilanz
Einzelne Politiker wie Markus Ritter oder Ruedi Bachmann, verschiedene
Stiftungen (Sophie-und-Karl-Binding-Stiftung, Jacqueline-Spengler-Stiftung,
GGG) und schliesslich die Eigentümerin DB AG zeigten sich vom
Konzept überzeugt, so dass der Verein «keim», zu dem noch Jeanny
Messerli stiess, Ende 1999 einen zweijährigen Mietvertrag für
die Kantine, das Wagenmeistergebäude sowie die als schützenswert
erachteten stillgelegten Gleisfelder abschliessen konnte.
Alles schien in Butter, aus dem DB-Areal wurde das nt-Areal (für
non-territorial), ein Gastroteam fand sich und verwandelte die
ehemaligen Bähnlerkantine in ein Restaurant, man machte sich ans
Renovieren, der Verein heckte Konzepte und Ideen aus, plötzlich
gab es Leben auf dem Areal. Die Pläne waren hochfliegend, die
Ideen ausgreifend, die Unterstützung von Quartierseite vorbildlich,
bis dann, kurz vor der Eröffnung des Restaurants der Amtsschimmel
wieherte. Mit viel Ach und Krach erlaubten schliesslich die Behörden
im letzten Moment eine «Gelegenheitsbewirtschaftungsbewilligung»,
so dass «Erlkönig» und Lounge rechtzeitig auf die Kunstmesse Art
hin doch noch ihre Tore öffnen konnten. Die Kulturszene stürzte
sich nur so auf den neu eröffneten Laden, trank dort Cüpli und
konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass hier der lebendigste
Ort der Stadt sei, die deshalb den Vergleich mit irgendeiner Grossstadt
für ein Mal nicht zu scheuen brauche.
Seit vergangenen Juli hat also der Verein freie Hand, die in seiner
Studie gezeichneten Visionen einer zwischenzeitlichen Belebung
des Areals zu verwirklichen. Was beinhalteten diese Vorstellungen,
was ist bereits umgesetzt? Der «Speisesaal», die «Lounge», das
«Labor», der «Weg», die «Galerie» - so lauten die Stichworte zu
den vordringlich zu realisierenden Projekten, wie sich dies auf
der Homepage zum Areal nachlesen lässt.
Die Bilanz schaut ordentlich aus. Der Speisesaal - das Restaurant
Erlkönig - hat sich zu einem beliebten Treffpunkt für ein eher
etabliertes als alternatives Publikum gemausert (Reservation unbedingt
erforderlich). Ebenso ist die Lounge mit ihren diversen Veranstaltungen
aus dem Club- und Konzertbereich im Basler Nachtleben ein kaum
mehr wegzudenkender Magnet. Im Rahmen der Galerie sind während
dieses halben Jahres immer wieder grössere und kleinere Installationen,
Performances, aber auch Kinofilme und Videoarbeiten auf dem Areal
zu sehen gewesen. Komplizierter wird es bei offenen Einrichtungen
wie dem «Labor», oder an die Bewilligungsbehörden gebundenen Projekten
wie der «Weg». Ein Baubewilligungsgesuch, um einen Weg vom Rosentalquartier
über das Areal in die Langen Erlen realisieren zu können, der
als Artefakt die Besucher auf das Areal locken sollte, blieb irgendwo
in den Mühlen der DB AG-Bürokratie hängen.
Das Labor hingegen, womit eine Denkwerkstatt gemeint ist, brodelt.
In diesem Rahmen sind etwa die sporadischen Veranstaltungen, Führungen,
Diskussionsrunden zu sehen, aber auch Zwischennutzungen wie die
der Künstlergruppe «airline», die im Dezember das Wagenmeistergebäude
als temporäres Atelier nutzte, oder die Unterbringung der immensen
Plattensammlung aus dem Künstlerkollektiv @home, die nun dort
als DJ-Matrix zugänglich ist.
Trotz der positiven Bilanz geben sich die Initianten selbstkritisch.
Es sei noch Grosses zu verwirklichen. «Im Moment werden wir vor
allem als Bar und Beiz wahrgenommen», so Matthias Bürgin. Als
Hauptaufgabe betrachtet es der Verein, weitere Projekte zu verwirklichen,
die Bewohner der angrenzenden Quartiere anzusprechen, integrativ
zu wirken, nachhaltige Projekte anzuzetteln.
Subtiles Kraftfeld
Ideen gibt es genug: In der 20 000 Quadratmeter umfassenden Lagerhalle
visioniert man etwa einen Multikulti-Markt, der «Weg» soll endlich
realisiert werden, auf dem Areal wird gegärtnert und gepflanzt.
Überhaupt wird im Sommer vieles möglich sein: Anders als bei anderen
Zwischennutzungen steht auf dem DB-Areal nicht so sehr der Innen-,
sondern der Aussenraum als nutzbare Fläche zur Verfügung - und
der Sommer bietet hier nun mal die besseren Bedingungen als der
Winter. Dass die Belebung des Areals Energien zum Fliessen gebracht
hat, ist so gut wie sicher.
Schon jetzt hat die Akupunktur nämlich ein subtiles Kraftfeld
der Anziehungen geschaffen: Das ehemalige Verwaltungsgebäude der
DB AG an der Erlenstrasse stand bis im Herbst 2000 zu 60 Prozent
leer. Nun gibt es da eine Galerie, Künstlerateliers, Anwälte,
Grafikerbüros, Architekten. «Es gibt Mieter, die nicht nur ein
Rauminteresse haben, sondern auch in einer sympathischen Verbindung
zu uns stehen», so ist Cabane überzeugt. «Der Effekt ist aber
auch noch weiter zu beobachten: Vielleicht haben wir auch eine
Anziehungskraft für innovative Menschen, die in der näheren Umgebung
eine Wohnung suchen. Dadurch würden wir zu einem echten Entwicklungsfaktor
für das Quartier.»
Von Michèle Binswanger |