«Wir sind Leute mit Gründerlust - dafür brauchen wir Raum»
Hat Basel das Zeug zur Metropole? Was macht die Urbanität einer
Stadt aus? Was geschieht auf dem Areal der Deutschen Bahn? Philippe
Cabane, Städteplaner ohne öffentliche Ämter, hat Antworten. Sie
decken sich zwar nicht mit etablierten Stossrichtungen. Aber decken
sich Letztere mit der Realität? Cabane ist ein Querdenker, ein
konstruktiver.
BaZ: Philippe Cabane, Sie organisieren alternative Kulturprojekte.
Sie sind DJ. Sie sind ein Nachtmensch. Sie experimentieren. Sollte
das Leben mit vierzig nicht anders aussehen?
Philippe Cabane: Aha. Die Frage nach den Lebensabschnitten. Studentenzeit, in der
man sich auslebt. Der Abschluss. Die Arbeit. Die Familie. Man
erwirtschaftet sich etwas Eigentum und Sicherheit und kann sich
dann ein gutes Pflegeheim leisten.
Auf all das haben Sie verzichtet. Ist Basel für Ihre urbane Art
von Leben ein gutes Pflaster?
Hier fällt mir vieles einfacher. Ich habe meine Beziehungen und
affektiven Fixpunkte, wie die Fasnacht. Im politischen Sinn kommt
Basel der klassischen Demokratie, der Polis, mit ihren 50'000 Einwohnern sehr nah. Die einzige Alternative
in der Schweiz wäre Zürich. Es boomt gerade. Es übernimmt die
Rolle der Metropole. Denken Sie an seinen neuen Slogan, «Downtown
Switzerland».
Welche Rolle könnte Basel im Städtenetz Schweiz übernehmen?
Sie nehmen wohl Bezug auf jenes Konzept der «Grossstadt Schweiz».
Auf der einen Seite also gibt es diese massiv wachsenden Metropolen.
Auf der anderen Seite gibt es Gebiete mit kleineren Städten, die
nahe beieinander liegen. Das Ruhrgebiet und die «Randstadt» in
Holland sind solche Beispiele.
Randstadt?
Das ist ein Städteverbund im holländischen Flachland. Gegenüber
der boomenden Metropolen können diese Gebiete auch mithalten,
weil sie die metropolitanen Funktionen auf die einzelnen Städte
verteilen.
Was wäre die Funktion von Basel, wenn man dieses Konzept auf die
Schweiz anwendete?
Das ist die grosse Frage. Bern ist als Hauptstadt das administrative
Zentrum. Zürich ist der Finanzplatz und Dienstleistungsstandort.
Basel hat seine traditionelle Rolle als Industriestadt, und zwar
in einem Sektor, der floriert.
Das Wort «Kulturstadt» fällt immer wieder.
Ach ja, richtig. Das Kunstmuseum, das Theater. Im pflegenden Bereich
passiert da einiges. Aber an der Basis, dort wo die Avantgarde
sich entfalten kann, da hat Basel an Zürich abgegeben. Hier riskiert
man viel weniger, geht vorsichtiger an Dinge heran.
Zum Beispiel?
Dort, wo das Leben, der Alltag kulturell gelebt wird. In Basel
fehlt eine Dynamik im Lebensgefühl. Es fehlt dieses kollektive
Lebensgefühl, dass etwas vorwärts geht.
Basel ist also keine Metropole?
Ganz klar nein.
Was zeichnet eine Metropole überhaupt aus?
Sie übernimmt sämtliche wesentlichen Funktionen einer Stadt: Sie
ist Wirtschafts-, Kultur-, Verkehrs-, Bildungszentrum. Sie hat
international Einfluss.
Wo ordnen denn die Basler selbst ihre Stadt ein?
Basel hat ein eigentümliches Selbstverständnis von Grösse, kulturell,
wirtschaftlich. Historisch gesehen hatte es diese Grösse ja auch.
Aber heute nimmt Basels Gewicht im Verhältnis zu anderen Zentren
eher ab.
Das ist ein düsteres Bild, das Sie da zeichnen.
Wieso denn? Dadurch wird Basel ja nicht zu einem schlechteren
Ort. Das kann auch eine Chance sein. Schnelle Dynamiken können
dadurch ja auch besser abgefangen werden. Basel muss sich aber
darüber klar werden, wie es innerhalb des Systems seine Rolle
wählt. Eine Rolle ist ja auch eine Identität. Da habe ich bei
Basel schon düsterere Gefühle. Basels Identität ist viel zu stark
in der Vergangenheit verhaftet. Es hat sehr bewahrende Reflexe.
Ich nenne das das «Barcelona-Syndrom». Madrid boomte. Barcelona
war lange träge, denn es war ja schon alles da: Museen, tolle
Architektur, Geistesgeschichte.
«Baselona»?
(lacht) Auch Basel hat ja schon die ganze Kultur. Es hat eine
der besten Kunstmessen der Welt.
DIE beste Kunstmesse, bitte.
Sorry... All das sollen wir ja auch weiterhin pflegen dürfen.
Aber es gibt den Blick in eine Zukunft, die in der Gegenwart fusst.
Und den Blick gibts in Basel nicht?
Das wird doch immer wieder kritisiert: Es fehle an Visionen. Kommen
wir aber auf die eigentliche Frage zurück: Ist Basel fortschrittlich?
In Sachen Drogen und Integration hat Basel viel mehr aus der Gegenwart
heraus gehandelt. Seine Strategie war nicht visionär, sondern
pragmatisch. Solche Dinge kriegt man nicht mit Visionen hin. Aber
von solchen Dingen lebt der Innovationsgeist einer Stadt.
Mit der anvisierten Wiedereinführung der Polizeistunde kam die
Befürchtung auf, Basel entwickle sich wieder zu einem Dorf.
Diese Tendenz ist eindeutig da. Schauen Sie sich nur die Lockvogelpolitik
für gute Steuerzahler an: Leute, die gute Preise für ihre Wohnung
bezahlen, reklamieren natürlich schneller. Also geht man einen
Schritt rückwärts und fängt an, zu blockieren, was sich urban
anfühlt. Aber eine Stadt braucht ein pulsierendes Lebensgefühl.
Vor allem ihr jüngeres Publikum. Ich lebte lange an der Feldbergstrasse.
Das war nach Paris der einzige Ort, wo ich ein Gefühl von Grossstadt
hatte.
Ausgerechnet im Matthäusquartier, dem Schandfleck von Basel?
Ein Schandfleck, weil man nach den gängigen Kriterien auf all
die so genannten Probleme der Stadt stösst. Aber es passiert auch
unheimlich viel. Es hat viele junge Leute, viele aktive Ausländer,
die neue Gefühle in ein Quartier bringen. Es hat Läden und Restaurants,
die am Wochenende und bis in die Nacht offen sind. Für alle Jungen,
die unregelmässig und viel arbeiten, ist das ein tolles Angebot.
Das sind Dinge, die man in Metropolen findet.
Basel unterbindet also seine Urbanität. Was sind die Konsequenzen
für jene Leute, auf die Basel in der Zukunft angewiesen ist?
Jede Stadt lebt von ihrem Nachwuchs. In der Politik werden alle
alt, aber niemand wird jung; deshalb vergisst man oft die Jungen.
Bei ihnen aber ist die Phantasie. Sie haben geringere materielle
Bedürfnisse, möchten aber in der Nähe einer Subkultur leben, um
ein Netz von gegenseitiger Hilfe zu haben. Eine Stadt muss Raum
bieten für diese informellen Systeme von Jungen, die Lust darauf
haben, ihre Pläne zu verwirklichen.
Immer diese «Räume». Ist «Raum» in der Jugendkultur nicht zu einer
mythischen Forderung geworden?
Raum ist ein realer, ganz zentraler Lebensaspekt.
Ginge es nicht eher um Inhalte?
Man kann Inhalt nicht einfach so im luftleeren Raum fabrizieren.
Sehr oft ist der Raum überhaupt die Voraussetzung für die Konkretisierung
von Inhalten. Es besteht eben enger Zusammenhang zwischen Raum
und Inhalt.
Wo steht Ihr Projekt im DB-Areal in diesem Zusammenhang?
«nt/Areal» ist nicht «mein» Projekt. Eine Vielzahl von Menschen
hat es initiiert. Jeannette Messerli zum Beispiel hatte das Projekt
«kurt» unter der Dreirosenbrücke, wo sie Künstlern Räume für einen
oder zwei Monat zur Verfügung stellte.
Sozusagen die Zwischennutzung einer Zwischennutzung?
Ja, genau. Bei Jeannette habe ich immer sehr spannende Projekte
gefunden, von denen ich fand, sie gehören in die Stadtplanung.
Nur habe ich sie in der offiziellen Stadtplanung bisher vermisst.
Zwischennutzung, wie wir das verstehen, hat eben eine andere Qualität
als die Ansprüche einer früheren Generation auf eigene Territorien
für neue Lebensformen. Wie bei einem Staat. Wir aber haben diese
Territorialität aufgegeben und planen nicht zu weit in die Zukunft.
Wir wollen doch nicht in eine politische Diskussion geraten, die
uns wieder blockiert.
Aber diese politische Diskussion findet statt. Hätten Sie da nicht
mitzureden?
Möglich. Aber erst gestalten wir die Gegenwart.
Das klingt, als ob man brachliegende Gebiete eine Zeit lang dem
Chaos überlassen muss, damit Urbanität entstehen kann. Meinen
Sie das?
Man kann das Prinzip der Drei-Felder-Wirtschaft in der Stadt anwenden.
Die Stadtplanung muss bewusst Freiflächen aussparen. Denn genau
an diesen Orten entfaltet sich innovatives Potenzial.
So wie das Unkraut hinter der DB-Kantine aus dem Boden schiesst?
Warum nicht? Jeannette Messerli und ich hatten mal das Projekt
«Aussaat». Wir wollten im DB-Areal ein Sonnenblumenfeld säen.
Die Bevölkerung hätte dort Blumen pflücken und etwas von diesem
Areal mitnehmen können. So wollten wir einen Bezug schaffen zwischen
der Bevölkerung der Stadt und dem Areal. Leider kam das Projekt
damals nicht zu Stande.
Man sieht oft, dass alternative Lebensräume institutionalisiert
werden, siehe Kaserne.
Sloterdijk nannte das «den Hang zur natürlichen Verdickung». Das
ist normal, nicht dramatisch. Aber das machen dann andere. Wir
sind Leute mit Gründerlust. Das ist die grosse Lust. Warum gibt
es all diese Do-it-yourself-Läden? Nicht weil die Leute sparen
wollen. Sie wollen selbst etwas schaffen. Wir wollen aus Alltagssituationen
einen Reichtum erzeugen. Die Vielfalt, die Differenz, die Kontraste,
das sind Elemente des Urbanen. Je mehr Wahrnehmungen sich treffen
und Erinnerungen erzeugt werden, desto mehr schreibt dieses Areal
eine Geschichte: jene des Wechsels von einem Güterbahnhof zu einem
lebendigen Teil dieser Stadt.
Interview Matthias Wyssmann
Philippe Cabane
yss. Philippe Cabane wurde 1960 in Basel geboren und wuchs in
Biel-Benken auf. Cabane studierte in Basel, Lausanne und Berlin,
hat ein Lizentiat in Soziologie, Philosophie und Geografie und
absolvierte ein Nachdiplomstudium in Städteplanung am Institut français d'urbanisme in Paris.
In jüngerer Zeit fiel er in Basel durch die Studie «Akupunktur
für Basel. Standortentwicklung durch Zwischennutzung» (mit Matthias
Bürgin) auf. Er arbeitet als Redaktor des «Schweizer Ingenieur
und Architekt» in Zürich und als frei erwerbender Projektentwickler
in Basel. Vor allem aber hat er das Projekt «nt/Areal» auf dem
Güterbahnhof der Deutschen Bahn mitbegründet.
Konstruktiver Umdenker
Er sieht jünger aus, als er ist. Und so lebt er auch. Nicht etabliert.
Legt nach wie vor Platten in Off-Lokalen auf. Lässt sich einfach
nicht einrangieren
in Familie, Karriere... Aber Philippe Cabane hat einen Leistungsausweis,
der sich sehen lassen kann (sonst hätten wir ihn nicht befragt).
Wobei im Bauberuf Leistungen normalerweise in Stein, Mörtel, Armierungsstahl,
Beton oder Asphalt gemessen werden. Bei Cabane ist das etwas anders.
Der denkt eben viel nach und experimentiert.
Auf dem Güterbahnhof der Deutschen Bahn haben Cabane und seine
Kollegen einen Spielraum entdeckt, der für ein Laboratorium für
urbanes Lebensgefühl wie geschaffen ist. Laut Cabane wird Urbanität
in Basel zu sehr erstickt. Die Stadt unterbinde so ein Energiepotenzial,
das für eine Expansion in die Zukunft nötig wäre, so Cabane: Eine
kalte Dusche für Basler Selbstbeweihräucherer, die von der Metropole
träumen und selten über die Kleinstadt hinausblicken.
Für Waage-Geborene gilt der Leitspruch «Ich berechne». Für Cabane
gilt das bestimmt nicht im materiellen Sinn. Er argumentiert nie
extremistisch und scheint lieber die verschiedenen Seiten eines
Problems abzuwägen. Wie sich das für einen Städteplaner ziemt,
der auf die Harmonie der Stadt bedacht ist.
Matthias Wyssmann
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