Bericht der Basellandschaftlichen Zeitung vom 15.1.2002

Richtige Avantgardisten

NT/AREAL / JOPO und Ingeborg Poffet, das «Duo Fatale», verschmolzen ihre Klänge mit denen des Ukrainers Sergej Klein.

BASEL. BASEL. Ohrenstöpsel oder doch keine? Keine, entscheidet Konzertveranstalter Matthias Bürgin. DJ GRU aus Odessa (Ukraine) legt etwas auf. Vorsätzlich mischt er bereits hier die U- mit der E-Abteilung auf: In eine ordentliche Lounge-Athmo, platzt eine weibliche Opernstimme und hält hartnäckig mit. «Fiction-Music»? Man beginnt zu ahnen, was das bezweckt.

Das Sax, die Bassklarinette von JOPO, das Akkordeon von Ingeborg Poffet und die Klänge von DJ GRU: Der Mann hat einen Haufen selbstgebrannter CD-Rs, dabei. Er legt Dub Plates auf einen Plattenspieler. Und mit seinem Mischpult holt Sergej Klein ein Optimum heraus.

Das kurze Aufblenden der russischen Sprachfetzen, Stimmen und Chöre: Ge-schichten aus einer verlorenen Zukunft. Es sind die Andeutungen, Ahnungen, die DJ GRUs Arbeit so anziehend machen. Der Mann hat seine Kenntnisse am Radio geholt. Durch das Live-Mixen zu SEINEN ästhetischen Massstäben, die er sich damit auch selber erarbeitet hat. Da muss man nicht Rücksicht nehmen, dass die Leute dazu doch bitte das bisschen Tanzbein heben.

Die Poffets, das Basler «Duo Fatale», mischen zurückhaltend ihre, Live-Elektronik dazu. Ingeborg Poffet singt sprach-los freiformatig vom Jodeln bis hin zu vage arabischen Motiven. «Weltmusik», lakonisch gefasst und doch immer wieder ungewohnt packend, mit sehr viel Druck.

Die Darbietung pulsiert zwischen lauten, expressiven Ausbrüchen und sanftem, ahnungsvollem Zu-Sich-Finden. Schön sind die Überleitungen gestaltet; unauffällig, organisch, wirken sie. Keine Person des Trios muss sich auf Kosten einer anderen hervortun.

Egal, wieviel davon auskomponiert wurde (man hat sich im Nebengebäude eine Woche Zeit genommen): Die beiden Sets mit «Difficult Listening» lassen keinen kalt. Auch darum spielt diese Musik auf der Höhe der Zeit.

«Krächzig», hatte mein Ostschweizer Nachbar mit dem Schnauz eingangs noch gemäkelt. «Sowas findest du gut?» So eine Zumutung, hält er seiner Freundin vor. Und das an seinem sauer verdienten Feierabend. Aber er hat in die Chose hineingefunden. «Das sind rechte Avantgardisten», gibt er zu, und keine «Pseudo-Leute».

Als das Sax sich an den marokkanischen Meistermusikern des «Jajouka»-Dorfes reibt, entstehen zeitlose Momente. Grossartig der Umschlag, als Ingeborg Poffets Gesang am Schluss verebbt, während DJ GRU den japanischen Sänger (und Gitarristen) Keiji Haino darüberlegt und diesen vollends «übernehmen» - lässt. Hainos hohe Stimme, Flehen, Klagen bis hin zum Toben fasst für sich allein nochmals zusammen, was man aus diesem langen Konzert hat mitnehmen dürfen.

Urs Grether